...
„Du bist wie dein Vater.“
Bezeichnenderweise war dieser Satz weder von ihrer Mutter noch von Georg gekommen, sondern von Katja. Sie sagte es mantraartig, um Sylvie in eine Wut zu versetzen, die groß genug war, dass sie endlich ihre Familie verlassen würde. Natürlich sagte Katja es auch nur, wenn es sich anbot, aber es bot sich dauernd an. Besonders wenn Sylvie kluge Sprüche abließ. Wenn sie sich aufblies und so tat, als wenn sie schlauer wäre als die anderen. Oder wenn sie über etwas urteilte, wovon sie keine Ahnung hatte. Original ihr Vater. Der hatte auch nie eine Ahnung von was und wusste trotzdem alles besser. Seine Zuhörer waren ihm nur Stichwortgeber gewesen, wenn er beim Mittagessen seine Themen Architektur, Lokalpolitik und den Balkankrieg abarbeitete. Deswegen hatten sie auch alle lange nicht bemerkt, dass er Alzheimer hatte. Merk mal den Unterschied zwischen Blödsinn und noch mehr Blödsinn.
Die Unterhaltungen mit Katja jedenfalls hatten sich im Kreis gedreht. Sylvie hoffte zwar immer, dass Katja noch eine Formulierung fände, die ihr weiterhelfen könnte, irgendwas, aber selbst Katja gingen irgendwann die klugen Formulierungen aus. Das Sylvie-querdenken, das Sylvie-aus-einer-anderen-Richtung-anbohren. Zugegeben, Sylvie hatte nicht mehr viel hinbekommen die letzten Wochen. Sie war für niemanden mehr eine Stütze gewesen, auch nicht mehr für sich selbst. Georg hatte sich in der schwierigen Situation großartig gehalten, jeder andere hätte Sylvie verlassen, aber er war geblieben. Trotzdem. Auch er war ihr auf die Nerven gegangen mit seinen ständigen Animationsprogrammen, um etwas mehr Lebhaftigkeit in den Haushalt zu bringen.
Jedenfalls war Sylvie nach dem Millenium für sechs Wochen abgehauen. Wahrscheinlich war der Auslöser gewesen, dass Georg zu ihr gesagt hatte, sie sollte vielleicht mit Tai-Chi anfangen, das würde sie wieder zu sich selbst bringen, es hätte ihr in letzter Zeit ein bisschen an frischen Ideen gefehlt. Von mir aus, dachte Sylvie, dann fahre ich nach Prag, da wollte ich schon immer hin, das ist ein Traum von mir, ist diese Idee frisch genug?
Denn an Neujahr war Sylvie aufgewacht und hatte diesen Tag nicht erleben wollen. Sie war spazieren gegangen, allein in der Kälte, und hatte gedacht, das kann doch nicht sein, dass ich den ersten Januar 2000 nicht erleben will. Dieses Jahr muss doch mit einem Paukenschlag beginnen.
Ohne Sylvies Gedankengänge zu ahnen, hatte Katja gemeint, in Prag käme man ein paar Wochen gut mit 1000 Euro zurecht. Zwar musste Sylvie dieses Geld erst noch zusammensparen, aber sie hatte wieder ein Ziel. Und im Frühling fuhr sie nach Prag, genau zur richtigen Zeit, als die Obstbäume am Laurenziberg in voller Blüte standen.
Bezeichnenderweise war dieser Satz weder von ihrer Mutter noch von Georg gekommen, sondern von Katja. Sie sagte es mantraartig, um Sylvie in eine Wut zu versetzen, die groß genug war, dass sie endlich ihre Familie verlassen würde. Natürlich sagte Katja es auch nur, wenn es sich anbot, aber es bot sich dauernd an. Besonders wenn Sylvie kluge Sprüche abließ. Wenn sie sich aufblies und so tat, als wenn sie schlauer wäre als die anderen. Oder wenn sie über etwas urteilte, wovon sie keine Ahnung hatte. Original ihr Vater. Der hatte auch nie eine Ahnung von was und wusste trotzdem alles besser. Seine Zuhörer waren ihm nur Stichwortgeber gewesen, wenn er beim Mittagessen seine Themen Architektur, Lokalpolitik und den Balkankrieg abarbeitete. Deswegen hatten sie auch alle lange nicht bemerkt, dass er Alzheimer hatte. Merk mal den Unterschied zwischen Blödsinn und noch mehr Blödsinn.
Die Unterhaltungen mit Katja jedenfalls hatten sich im Kreis gedreht. Sylvie hoffte zwar immer, dass Katja noch eine Formulierung fände, die ihr weiterhelfen könnte, irgendwas, aber selbst Katja gingen irgendwann die klugen Formulierungen aus. Das Sylvie-querdenken, das Sylvie-aus-einer-anderen-Richtung-anbohren. Zugegeben, Sylvie hatte nicht mehr viel hinbekommen die letzten Wochen. Sie war für niemanden mehr eine Stütze gewesen, auch nicht mehr für sich selbst. Georg hatte sich in der schwierigen Situation großartig gehalten, jeder andere hätte Sylvie verlassen, aber er war geblieben. Trotzdem. Auch er war ihr auf die Nerven gegangen mit seinen ständigen Animationsprogrammen, um etwas mehr Lebhaftigkeit in den Haushalt zu bringen.
Jedenfalls war Sylvie nach dem Millenium für sechs Wochen abgehauen. Wahrscheinlich war der Auslöser gewesen, dass Georg zu ihr gesagt hatte, sie sollte vielleicht mit Tai-Chi anfangen, das würde sie wieder zu sich selbst bringen, es hätte ihr in letzter Zeit ein bisschen an frischen Ideen gefehlt. Von mir aus, dachte Sylvie, dann fahre ich nach Prag, da wollte ich schon immer hin, das ist ein Traum von mir, ist diese Idee frisch genug?
Denn an Neujahr war Sylvie aufgewacht und hatte diesen Tag nicht erleben wollen. Sie war spazieren gegangen, allein in der Kälte, und hatte gedacht, das kann doch nicht sein, dass ich den ersten Januar 2000 nicht erleben will. Dieses Jahr muss doch mit einem Paukenschlag beginnen.
Ohne Sylvies Gedankengänge zu ahnen, hatte Katja gemeint, in Prag käme man ein paar Wochen gut mit 1000 Euro zurecht. Zwar musste Sylvie dieses Geld erst noch zusammensparen, aber sie hatte wieder ein Ziel. Und im Frühling fuhr sie nach Prag, genau zur richtigen Zeit, als die Obstbäume am Laurenziberg in voller Blüte standen.
Anobella - 2. Aug, 15:03
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