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Henny (Gast) - 7. Dez, 08:10

Also ich habe mir das vor Jahren mal so aufgeschrieben.
Ich weiß nicht, ob Dir das hilft.

Das Experiment lautet: Eine Katze sitzt in einem geschlossenen Kasten, neben ihr befindlich ein Atomkern, der nach einer bestimmten Zeit zerfällt und über einen Mechanismus Giftgas freisetzt. Nach der Quantentheorie befindet sich der Atomkern nach Ablauf der Zeitspanne im Zustand der Überlagerung, noch nicht zerfallen und zerfallen. Demnach soll sich, wenn die Quantenphysik auf makroskopische Systeme anwendbar ist, auch die Katze im Zustand der Überlagerung, lebendig und tot, befinden. Die Katze hat eine fünfzigprozentige Chance, tot zu sein, und eine fünfzigprozentige Chance, am Leben zu sein, weil es eine fünfzigprozentige Wahrscheinlichkeit gibt, dass ein Elektron einen Mechanismus auslöst, der die Katze dem Einfluss von Giftgas aussetzt, und eine fünfzigprozentige Wahrscheinlichkeit besteht, dass das Elektron den Auslösemechanismus verfehlt Die Katze befindet sich also in einem Mischzustand, weder tot, noch lebendig. Erst beim Öffnen des Raumes und der Beobachtung, also der Messung durch den Menschen, entscheidet sich, ob man die Katze tot oder lebendig auffindet.

Giorgione - 7. Dez, 08:15

Was sich für mich Pragmatiker

wie Unsinn anhört. Entweder ist sie tot oder lebendig. Und ich kann den Deckel aufmachen oder nicht. Aber nur durchs Aufmachen wird sie ja nicht tot oder lebendig. Und wenn es eine fünfzigprozentige Chance gibt, dass sie tot oder lebendig ist, ist sie ja immer noch nicht beides gleichzeitig. Oder?

Bei mir ist ja zur Zeit auch die Chance, dass ich lebe oder tot bin, relativ groß. Ich bin aber auch nicht beides gleichzeitig. Das bedeutet doch wohl, dass die Quantenphysik eben nicht auf makroskopische Systeme anwendbar ist. Weil, wenn ich tot bin, muss ich nicht zur Arbeit gehen. Und wie sage ich das meinem Chef? "Hallo, Chef, ich kann nicht kommen, denn ich bin tot?"
Sun-ray - 7. Dez, 14:09

Solange du nicht an der Arbeit bist,
bist du für deinen Chef potentiell beides -
tot und lebendig.
Weil er weder den einen, noch den anderen Zustand
hundertprozentig nachprüfen kann.
Natürlich geht er davon aus, dass du lebst.
Auch dann noch, wenn du dich verspätest.
Aber dies tut er nicht in echtem Wissen darum,
dass du tatsächlich lebst,
sondern weil seine Erfahrungen
bzw. sein erfahrungsgeprägtes Bewusstsein
ihm diese Annahme als realitätsnähere nahelegen
als die, dass du nicht mehr lebst.
Diese erscheint ihm tatsächlich so realitätsnah,
dass schon einiges passieren muss,
bevor er auch nur auf die Idee kommt,
von seiner gewohnten Einschätzung abzurücken.
Und selbst wenn derartiges passieren sollte,
wird sich sein Bewusstsein in weiten Teilen weigern,
die Tatsache, dass du nicht mehr lebst,
als ebenso selbstverständlich zu betrachten,
wie die, dass du dich quicklebendig verspätet hast.
Es wird Begriffe wie 'Tragik' und 'Schicksal',
'Unfall' und dgl. mehr bemühen,
um ein Phänomen zu erfassen,
das sich völlig gleichwertig, weil -berechtigt
zu dem ihm vertrauten Leben verhält.

Und genau um diesen Aspekt geht's bei Schrödingers Katze.
Natürlich findet deren Wirklichkeit (also das der Mieze) statt.
Für sie selbst gibt's unterm Strich
nur entweder Leben oderTod.
Sogar tief leidendes Übergangsstadium muss
sich diesem Entweder-Oder beugen.
Aber um die Wirklichkeit der Katze
geht's im genannten Veranschaulichungsbild
eben gerade nicht.
Stattdessen darum, zu verdeutlichen,
wie sehr der Mensch dazu neigt,
seine erfahrungsgeprägte Wahrnehmung
für realitätsgerecht zu halten -
ungeachtet der einleuchtenden Tatsache,
dass sie hauptsächlich auf Interpretation basiert.

Unzweifelhaft existiert die Wirklichkeit der Katze,
ebenso zweifelsohne die eines Menschen vor der Box
(oder dahinter bzw. daneben - insofern wichtig,
als unterschiedliche Standorte zwangsläufig
Einfluss auf den jeweiligen Blickwinkel haben).
Um beide Wirklichkeiten miteinander
in Beziehung setzen zu können,
ist es notwendig, dass der Mensch die Box öffnet.
Solange er das nicht tut, bleiben sie getrennt.
Tut er es jedoch, verändert er die Welt -
indem er ihr eine verschlossene Box nimmt
und eine geöffnete hinzufügt;
und auch, indem er sich Erkenntnis verschafft,
die er zuvor nicht hatte.
Letzteres mag auf den ersten Blick
nur seine Innenwelt verändern,
da sich aber jede Veränderung des Inneren
im Außen niederschlägt, bewirkt allein
das Zur-Kenntnis-Nehmen ebenfalls Realitätsveränderung.
Der berühmte Schmetterlingsflügelschlag,
welcher u.U. auf der gegenüberliegenden Seite der Welt
einen Tsunami auslösen kann .....

Wofür solch ein Denkmodell wichtig ist?
Dafür:
Es verdeutlicht, dass die Welt ein Gefüge ist,
in dem nichts folgenlos geschieht.
Des weiteren, wie sensibel dieses Gefüge reagiert -
unendlich viel sensibler,
als normale menschliche Wahrnehmung erkennt.
Um uns dem Verständnis des Gefüges
und seiner Komplexität wenigstens anzunähern
(nur, was man halbwegs versteht,
kann man halbwegs sinnvoll händeln),
brauchen wir mehr Instrumentarien
als die uns geläufige Wahrnehmung
mit ihren gewohnheitskonditionierten Parametern.
Wir müssen uns mittels unseres Verstandes
dorthin zu denken versuchen,
wo wir aufgrund unserer Natur nicht sind -
quasi in das Dazwischen.
Ähnlich wie beim Brückenbau,
wo es auch nicht ausreicht,
sich mit beidseitiger Uferkenntnis zu begnügen.
Sprich, wir können die Welt erst dann verstehen lernen,
wenn wir zunächst einräumen,
dass sie aus weitaus mehr Facetten besteht,
als nur aus dem Inneren und Äußeren der Box.
Nur so ist es uns möglich zu erkennen,
welche Rolle unsere vertraute Wahrnehmung
im Gesamtgefüge spielt.
Dem vorgelagert eben die durch Schrödingers Katze
veranschaulichte Hinführung zu der Einsicht,
dass unsere Wahrnehmung wesentlichen Anteil
an unserem Realitätsverständnis
und damit an der Realität
als komplexes Gefüge selbst hat.

Konkreteres Beispiel:
Dieser mein Beitrag kann je nach
persönlich geprägter Auffassung
ganz unterschiedlich wirken
und somit auch ganz Unterschiedliches auslösen.
Dem einen Leser mag sofort klar auf der Hand liegen,
dass ich mich damit nur profilieren will.
Ein anderer wird vielleicht sagen:
Aaah ja, so langsam verstehe ich die Box und deren Sinn.
Und sich am Verständniszugewinn erfreuen,
ohne auf die Idee zu kommen,
darin nachträglich eigenes Defizit zu entdecken,
das er in der Folge auf mich und meine Absichten projeziert.
Wieder ein anderer sagt vielleicht:
Netter Erklärungsversuch, Frau Sun-ray,
aber dies oder jenes haben Sie nicht hinreichend bedacht.
Und strebt evtl. in diesem Sinne weiterführendes Gespräch an.
Noch ein anderer sagt womöglich:
Ach wissen Sie, mir reicht eigentlich völlig mein Ufer.
Unabhängig davon, wie jeweilige Reaktionen ausfallen,
bestimmen diese die ihnen entsprechenden Realitätsabschnitte -
nicht nur an einem Ufer,
sondern in jedem einzelnen Wirklichkeitsausschnitt
und damit insgesamt.

Um diverse Zwischenstadien und -zustände
können wir nicht viel mehr tun,
als sie als gegeben,
mind. aber als möglich zur Kenntnis zu nehmen.
Vorteil solcher Kenntnis:
Jemand, der wenigstens ahnt,
bzw. für möglich hält,
dass im Gesamtgefüge Urwald sinnvolle,
weil einander bedingende Artenvielfalt herrscht,
wird sehr viel sorgfältiger mit diesem umgehen,
als jemand, der nur Bäume sieht,
aus denen sich wetterfeste Terrassenmöbel machen lassen.

Ich persönlich denke,
dass die Quantenphysik den Schlüssel
zu jenen Türen des Verstehens liefert,
die mit Metaphysischem nichts anfangen können.
Sie liefert naturwissenschaftliche Erkenntnis,
die sich nicht leugnen lässt,
obwohl sie auf dieselben Einsichten hinausläuft,
die bislang (aufgrund menschlichen Separationsbedürfnisses)
Philosophie und Weisheit vorbehalten zu sein schienen.
Was in sich nicht wirklich verwunderlich ist,
schließlich leben wir alle ausnahmslos
auf dieser unserer Welt.
Sie ist die einzig verbindliche Kraft -
mitsamt all den ihr innewohnenden Mechanismen.
Angesichts dieser unleugbaren Tatsache
rückt menschliches Gebahren und Bemühen jedweder Couleur
auf eben den Platz zurück, der ihm einzig zukommt:
Wir alle sind bloß Lernende.
Und unabdingbare Voraussetzung für Lernen aller Art
ist die Bereitschaft zur Offenheit.
Vor der Entdeckung der Quantenphysik
wurde vorzugsweise das gefunden,
was bekannt war und in vorgegebene Raster passte.
Seit ihrer Entdeckung ist nichts mehr unmöglich,
nur weil Menschen es für unmöglich befinden.

Dieser Exkurs war mir aufrichtiges Vergnügen.
Aus dem alleinigen Grund,
weil es mir tiefe Freude bereitet,
scheinbar Undurchschaubares
küchentischtauglich transparent zu machen.
In erster Linie für mich selbst.
So es jemand anderen ebenfalls anregt,
ist es mir Amarenakirsche oben drauf.
Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
In jedem Fall freue ich mich mehr
über evtl. Bereicherung meines Wissens,
als über sonstige Kamellen.

:)
Giorgione - 8. Dez, 10:36

"Netter Erklärungsversuch, Frau Sun-ray, aber"

bedacht haben Sie nicht, dass die Katze tot und lebendig gleichzeitig sein soll. Da geht es nicht um Erkenntnisse. Und das verstehe ich eben nicht, was das soll Der Rest: geschenkt: Weiß man seit Watzlawick und Akutagawa und Levi-Strauss zur Genüge.

* geht gleich zur Arbeit, höchst lebendig
Sun-ray - 8. Dez, 19:17

Dein großzügiges Geschenk verschlägt mir glatt den Atem.
Schade eigentlich, denn mit Atem hätte ich
Deine Verständnisunklarheit gerne beseitigt.
Macht nix - wir verbuchen diese einfach
unter Sowohl-lebendig-wie-auch tot.
Hach ja, manches erklärt sich
halt immer noch am besten selbst.

Schönen Abend noch. :)

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